Nach der Katastrophe von Fukushima hatte man sie für tot erklärt. Jetzt erlebt die Kernenergie eine Renaissance: Rund 60 Reaktoren sind weltweit im Bau. Selbst Länder wie die Schweiz und Japan, die den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen hatten, denken über eine Wiedereinführung nach.
2025 wird als ein entscheidendes Jahr für die Kernenergie in Erinnerung bleiben. Es ist das Jahr des Aufbruchs nach 14 Jahren in der Versenkung. Nacheinander haben Länder wie Italien, Dänemark, Belgien und sogar Japan angekündigt, ihre Haltung zur Kernenergie zu überdenken. «Wir erleben derzeit eine weltweite Renaissance», stellt Dominique Casaï, Gründer von Uram, einer unabhängigen Investmentberatung mit Sitz in Genf, fest. Uram hat sich auf natürliche Ressourcen spezialisiert. Die Wahrnehmung der Kernenergie habe sich grundlegend gewandelt, so Dominique Casaï. Sie werde nun als wichtiger Bestandteil der Energiewende angesehen.
Wer hätte das vor nur zehn Jahren gedacht? Rückblick: Am 11. März 2011 wird die japanische Küste von einem Tsunami überrollt. Eine 15 Meter hohe Welle überschwemmt das am Meer gelegene Kernkraftwerk Fukushima Daiichi und setzt die Kühlsysteme der Reaktoren ausser Betrieb. Die Nuklearkatastrophe von Fukushima nimmt ihren Lauf. Die Wasserstoffexplosionen, die Zwangsevakuierung der Bevölkerung und das Krisenmanagement wurden wochenlang weltweit im Fernsehen übertragen und lösten grosse Ängste aus. In der Folge beschlossen mehrere Länder, darunter Japan, Deutschland, die Schweiz und Belgien, «endgültig» aus der Kernenergie auszusteigen.
Die Zahl der weltweit in Betrieb befindlichen Kernreaktoren sank von 442 im Jahr 2011 auf 419 im Jahr 2012. Diese Zahl ist seitdem nicht mehr gestiegen: Laut Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) waren im Jahr 2025 genau 416 Reaktoren in Betrieb. Der Preis für Uran, den wichtigsten Brennstoff für Reaktoren, ist ebenfalls gesunken, von mehr als 70 Dollar Anfang 2011 auf 30 Dollar im Januar 2018.
Fukushima hat uns 15 Jahre gekostet
Eine neue Ära
«Diese Zeit war schwer für mich», erzählt Dominique Casaï, der sein ganzes Leben lang im Rohstoffsektor und insbesondere im Uranbereich gearbeitet hat. «Der Ausstieg aus der Kernenergie, insbesondere in Deutschland, hat zur Wiederinbetriebnahme von Kohle- oder russischen Gaskraftwerken geführt. Das Ergebnis sehen wir heute... Fukushima hat uns 15 Jahre gekostet. Ohne diesen Vorfall wäre die Energiewende heute viel weiter fortgeschritten.»
14 Jahre später erlebt die Atomenergie weltweit ein Comeback. Im Januar 2025 zählte die IAEO in einem Bericht mit dem Titel «The Path to a New Era for Nuclear Energy» weltweit 63 Reaktoren im Bau, eine Zahl, die seit den 1990er-Jahren nicht mehr erreicht wurde. Und das Geld fliesst: «Die jährlichen Investitionen in die Kernenergie, die neue Kraftwerke ebenso wie Laufzeitverlängerungen bestehender Kraftwerke umfassen, sind zwischen 2020 und 2023 um fast 50 Prozent gestiegen und haben 60 Mrd. Dollar überschritten», stellt die IAEO in ihrem Bericht fest.
Und das ist erst der Anfang: Hervé Guérin, Partner im Bereich Energie und Industrie bei Bartle, hält die Prognosen für den Bau neuer Reaktoren für «wahnwitzig». Insbesondere China plane, seinen Reaktorpark bis 2040 mit 100 neuen Reaktoren zu verdoppeln. Von den weltweit 63 Neubauprojekten befindet sich fast die Hälfte (29) im Reich der Mitte. Diese Zahlen stehen in starkem Kontrast zur Situation in Europa, wo derzeit nur drei Reaktoren gebaut werden: zwei im Vereinigten Königreich und einer in der Slowakei. Aber die europäischen Länder ziehen langsam nach. Die britische Regierung hat im Juli endgültig grünes Licht für das Kernkraftwerksprojekt Sizewell C mit geschätzten Kosten von 38 Mrd. Pfund (fast 44 Mrd. Euro) gegeben. Paris hat seinerseits im Juni den Bau von sechs Grossreaktoren in Frankreich bis 2038 offiziell bestätigt. Und viele Länder, die endgültig auf die Atomkraft verzichtet hatten, revidieren inzwischen ihre Entscheidung.
So hat Belgien am 15. Mai dieses Jahres mit einer Abstimmung im Parlament die Rückkehr zur Atomkraft beschlossen. Ende Februar 2025 hatte der italienische Ministerrat ein Dekret verabschiedet, das den Weg für die Rückkehr zur Atomkraft ebnet und nun der Ratifizierung durch das Parlament bedarf. «Bis 2030 wird die Kernenergie in Italien zurückkehren, davon bin ich überzeugt», erklärte der Minister für Umwelt und Energiesicherheit, Gilberto Pichetto Fratin. Vor fast 30 Jahren, im Jahr 1987, nach der Katastrophe von Tschernobyl, war Italien aus der Kernenergie ausgestiegen.
In der Schweiz hat der Bundesrat im Dezember 2024 vorgeschlagen, das Gesetz zu ändern, um den Bau neuer Kraftwerke zu ermöglichen, der seit 2018 verboten ist. «Selbst in Deutschland gewinnt die Idee einer Rückkehr zur Kernenergie an Boden», stellt Dominique Casaï fest. Die Liste ist nicht vollständig. Man könnte auch Dänemark erwähnen, das im Mai letzten Jahres die Tür für die Atomkraft wieder einen Spalt breit geöffnet hat. Und das mehr als 40 Jahre, nachdem Dänemark dieser Energieoption nach dem Unfall von Three Miles Island den Rücken gekehrt hatte. So viel zu Europa.

In den USA hat Donald Trump im Mai 2025 zwei Dekrete unterzeichnet, die die Entwicklung der Atomkraft beschleunigen sollen. Ziel ist es, den Kernenergieverbrauch in den USA zu vervierfachen, von etwa 100 Gigawatt (GW) 2024 auf 400 GW bis 2050. Selbst in Japan, das mehrfach die verheerenden Folgen der Radioaktivität erleben musste, scheint man die bisherige Linie zu überdenken. Während der Inselstaat nach Fukushima alle Kernkraftwerke stilllegen wollte, sieht der im Februar verabschiedete neue Energieplan des Landes nun vor, den Anteil der Kernenergie am Energiemix bis 2040 auf 20 Prozent zu erhöhen. Dazu will man alte Kraftwerke wieder in Betrieb nehmen, ihre Laufzeit verlängern oder neue Reaktoren bauen.
Diese Information ist auch der Kansai Electric Power Company, einem der führenden Unternehmen der japanischen Elektrizitätswirtschaft, nicht entgangen. Im Juli 2025 kündigte das Unternehmen an, eine Studie zum Bau eines neuen Reaktors im Kraftwerk Mihama in der japanischen Präfektur Fukui durchzuführen. «Angesichts der begrenzten natürlichen Ressourcen in Japan […] ist es wichtig, dass die Kernenergie in den kommenden Jahren eine Rolle spielt», begründete CEO Nozomu Mori diese Entscheidung.
«Vor etwa vier Jahren gab die Internationale Energieagentur (IEA) bekannt, dass die Kernenergie nach einer schwierigen Phase nach dem grossen Erdbeben von 2011 in Ostjapan und nach dem Unfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi gut aufgestellt sei, um ein Comeback zu feiern», erklärte Fatih Birol, Direktor der IEA, im Januar 2025. Heute könne man diese Rückkehr eindeutig beobachten, die Kernenergie stehe vor einer neuen Ära.
Die Voraussetzungen für einen grossen Aufschwung sind also offenbar gegeben. Auch in der Schweiz. Selbst in der Bevölkerung scheint sich die Stimmung zu drehen. Eine Umfrage des Verbands Schweizerischer Stromunternehmen (VSE), die das Institut gfs.bern durchgeführt hatte und die im Juni 2025 veröffentlicht wurde, ergab, dass 59 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer voll und ganz oder eher damit einverstanden seien, dass die Schweiz den Bau von Kernkraftwerken wieder in Betracht ziehe. 2017 hätten noch 58,2 Prozent der Bevölkerung für den Ausstieg aus der Atomenergie gestimmt.
Wir sehen Investitionsmöglichkeiten über den gesamten Uranzyklus hinweg
Investoren kehren zurück
In diesem sehr günstigen Umfeld überdenken Investoren einen Sektor, aus dem sie nach dem Unglück von Fukushima geflohen waren. «Angesichts des weltweit steigenden Energiebedarfs ist die Kernenergie wieder als eine der möglichen Lösungen für das Problem in den globalen Diskurs zurückgekehrt und schafft damit Chancen für Investoren», betont Kamil Sudiyarov, Produktmanager bei VanEck. Diese Meinung teilt auch Kenny Zhu, Research Analyst bei Global X ETFs in New York: «Wir glauben, dass Kernenergie eine gute Investition sein kann.» An den Märkten hat die Begeisterung bereits eingesetzt. Seit Jahresbeginn verzeichnet beispielsweise der ETF VanEck Uranium and Nuclear Technologies, der Unternehmen aus dem gesamten Sektor umfasst, eine Rendite von 51,58 Prozent (Stand: 18. August).
Wer einfach und günstig in den Nuklearsektor investieren wolle, so Dominique Casaï, müsse sich für Uranproduzenten interessieren. «Die Laufzeitverlängerung von Reaktoren und der Bau neuer Anlagen weltweit werden die Nachfrage drastisch steigern und die Preise in die Höhe treiben.» Zwischen Januar 2021 und Juli 2025 ist der Uranpreis bereits um 130 Prozent gestiegen und liegt heute bei mehr als 70 Dollar. Das treibt auch die Aktien der Bergbauunternehmen an. «Wir sehen Investitionsmöglichkeiten über den gesamten Uranzyklus hinweg», bemerkt Kenny Zhu, «natürlich bei Bergbauunternehmen, aber auch bei denen, die für die Umwandlung und Anreicherung von Uran zuständig sind. Die Preise für Umwandlung und Anreicherung haben 2025 Spitzenwerte erreicht.»
Das kanadische Unternehmen Cameco, einer der grössten Uranproduzenten der Welt, verzeichnete seit Jahresbeginn einen Kursanstieg von 45 Prozent (Stand: 15. August). «Die steigende Nachfrage führt zu einem Anstieg der Uranpreise», bestätigt Hervé Guérin von der Beratungsfirma Bartle und warnt: «Vorsicht! Geopolitische Unwägbarkeiten können zu heftigen Erschütterungen auf dem Bergbaumarkt führen.» Allerdings ist der Uranzyklus nicht die einzige Einstiegsmöglichkeit für Investoren. «Die Atomindustrie ist ein sehr grosser Sektor, der Bergbauunternehmen, Reaktorhersteller, Ausrüstungshersteller, Kraftwerksbetreiber, Zulieferer und Spezialisten für die Abfallentsorgung umfasst», erklärt Hervé Guérin.
Ohne staatliche Mittel gibt es keine Kernkraftwerke. Das ist eine Erkenntnis aus den jüngsten Reaktorbauprojekten in Europa. So wird etwa die britische Regierung, die im Juli grünes Licht für den Bau des Kraftwerks Sizewell C gegeben hat, mit einer Beteiligung von 44,9 Prozent der grösste Anteilseigner sein. Das Projekt mit geschätzten Kosten von 38 Mrd. Pfund (fast 44 Mrd. Euro) wird hauptsächlich vom Staat finanziert sowie mit Mitteln aus dem kanadischen Pensionsfonds La Caisse (Aktionär mit 20 Prozent), des britischen Energieversorgers Centrica (15 Prozent), des französischen Energieversorgers EDF (12,5 Prozent) und von Amber Infrastructure (7,6 Prozent).
Das Problem: Manche Staaten sind hoch verschuldet und haben Schwierigkeiten, die für ihre Atomambitionen erforderlichen Mittel aufzubringen, sodass sie sich auf ungewöhnliche Lösungen einlassen müssen. In Frankreich beispielsweise möchte Präsident Emmanuel Macron, dass Länder, die aus Frankreich importierten Atomstrom beziehen, insbesondere die Schweiz, sich an den Kosten für den Bau der neuen Reaktoren beteiligen. Paris will so bis 2038 den Bau von sechs neuen Kernreaktoren finanzieren und prüft die Möglichkeit, bis 2050 acht weitere zu bauen. Die geschätzten Kosten für die ersten sechs Reaktoren belaufen sich auf 80 Mrd. Euro, die zu mehr als 55 Prozent durch ein zinsgünstiges Darlehen (zum Nullzinssatz) des Staates gedeckt werden. Der Betrieb der Reaktoren wird anschliessend durch eine Verkaufspreisgarantie für Strom von 100 Euro pro Megawattstunde gesichert. Liegen die Marktpreise darunter, gleicht der Staat die Differenz gegenüber EDF aus.
Hohe Hürden
Weltweit sind nur wenige Unternehmen in der Lage, Reaktoren zu bauen, um die Nachfrage zu decken: die russische Rosatom, die chinesischen CNNC und CGN, die französische EDF, die amerikanische Westinghouse und die südkoreanische KEPCO (s. Porträts). Von den 52 Reaktoren, die seit 2017 neu gebaut wurden, sind laut IAEO 25 chinesischer und weiter 23 russischer Bauart.
Der Grund? «Im Gegensatz zu China, das nie auf Kernenergie verzichtet hat, stagnierte diese Industrie in Europa weitgehend nach der Katastrophe von Tschernobyl», erinnert Marc Elliot, Investmentspezialist für die Energiewende bei der Union Bancaire Privée (UBP). «Und es braucht Zeit, einen solchen Sektor wieder anzukurbeln. Man muss ein ganzes industrielles Gefüge wieder aufbauen und Kompetenzen neu entwickeln. Das ist ein langer und komplexer Prozess.» Die Industrie hat das in den 1970er- und 1980er-Jahren erworbene Know-how verloren und tut sich schwer, es wiederzugewinnen. Das Ergebnis: In Europa sind grosse Kernreaktorprojekte ein langwieriges und teures Unterfangen.
EDF hat zwar kürzlich zwei Reaktoren fertiggestellt (einen in Finnland und einen weiteren in Frankreich), doch beide Projekte waren mit enormen Verzögerungen und mit Mehrkosten verbunden. Laut einem im Januar 2025 veröffentlichten Bericht des Rechnungshofs kostete der EPR-Reaktor in Flamanville, der erst am 21. Dezember 2024 mit zwölfjähriger Verspätung an das französische Stromnetz angeschlossen wurde, insgesamt 23,7 Mrd. Euro statt der 3,2 bis 3,3 Mrd., die 2006 vor Baubeginn veranschlagt worden waren. «Das Vertrauen der Investoren wird sich mit jedem erfolgreichen Projekt ohne Verzögerungen und Mehrkosten zurückgewinnen lassen», sagt Hervé Guérin von Bartle.
In der Zwischenzeit erfordere der Neustart des Sektors in Europa starke politische Anreize, fordert Marc Elliott. Und kolossale Investitionen. Die Europäische Kommission beziffert den Bedarf bis 2050 auf 241 Mrd. Euro, wie aus den im Juni 2025 veröffentlichten Zahlen des achten «Hinweisenden Nuklearprogramms» (PINC) deutlich wurde. 205 Mrd. sollen für den Bau neuer Kraftwerke und 36 Mrd. für die Verlängerung der Laufzeit bestehender Anlagen aufgewendet werden. Um die Finanzierungsprobleme der Grosskraftwerke zu lösen, werden grosse Hoffnungen in kleinere Reaktoren gesetzt – die sogenannten SMR (Small Modular Reactors ), die ledigleich ein Viertel oder sogar nur ein Zehntel der Energie eines herkömmlichen Reaktors produzieren würden. Glaubt man den Befürwortern, dann könnte eine Serienfertigung die Kosten massiv senken. Trotz der laufenden Projekte, die von innovativen Start-ups wie NuScale und Oklo, aber auch von Giganten wie Rolls-Royce, BWX Technologies oder KEPCO vorangetrieben werden, ist derzeit noch kein SMR in Betrieb. «Die ersten SMR sollen bis 2030 auf den Markt kommen, Prototypen soll es bereits 2028 geben», erklärt Kenny Zhu. «Es handelt sich um eine attraktive Investition, die jedoch langfristig betrachtet werden muss.»