Seit Anfang 2024 eilte der Deutsche Aktienindex (DAX) von Rekord zu Rekord und schien die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes völlig zu ignorieren. Seitdem wurde der DAX, wie auch andere Indizes, vom Trump-Sturm erschüttert.
Bertrand Beauté
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20ʼ000 Punkte: Anfang Dezember 2024 überschritt der DAX zum ersten Mal in seiner Geschichte diese symbolische Schwelle und beendete damit ein glanzvolles Jahr mit einem Anstieg von fast 20 Prozent. Diese Performance ist umso beeindruckender, als die Indizes der Nachbarländer – wie zum Beispiel der Schweizer SMI oder der CAC40 in Frankreich – im gleichen Zeitraum deutlich schlechter abschnitten. Nichts schien den Anstieg des DAX aufhalten zu können. In den ersten drei Monaten des Jahres 2025 stieg er weiter an (+12 Prozent) und erreichte am 1. April 22ʼ500 Punkte.
Dann kam der sogenannte Tag der Befreiung. Wie alle Börsen-Indizes weltweit rutschte auch der DAX ab. In weniger als einer Woche, zwischen dem 2. und 7. April, wurden alle Gewinne des Jahres 2025 gelöscht: Der DAX fiel wieder unter die Marke von 20ʼ000 Punkten. Da Donald Trump jedoch unberechenbar ist, hat seine Entscheidung, am 9. April seine «gegenseitigen» Zölle für 90 Tage auszusetzen, den DAX wieder deutlich über 20ʼ000 Punkte nach oben gebracht, am 15. April lag der Index bei 21‘100. Lässt man die Episode Trump aussen vor, so entwickelt sich der deutsche Index seit Anfang 2024 überdurchschnittlich – als ob Anleger ihre Augen vor der Krise im Automobilsektor und der trüben Konjunktur, die Deutschland belastet, verschliessen würden. Mehrere Faktoren erklären diese paradox erscheinende Situation. Zunächst einmal sind die 40 DAX-Riesen zwar deutsche Unternehmen, erzielen aber den Grossteil ihres Umsatzes im Ausland. Der Marktführer für Unternehmenssoftware SAP, mit 280 Mrd. Euro die grösste Kapitalisierung in Frankfurt (Stand 15. April), erzielt beispielsweise weniger als ein Fünftel seines Umsatzes in Deutschland.
Die nationale Wirtschaft hat also nur geringe Auswirkungen auf das Ergebnis. Während der DAX zwischen dem 15. April 2024 und dem 15. April 2025 um 16 Prozent gestiegen ist, stagnierte der MDAX im gleichen Zeitraum (+0,7 Prozent). Der MDAX umfasst die deutschen Mid-Cap-Unternehmen und reagiert sehr empfindlich auf das lokale Umfeld. Zudem verbirgt sich hinter dem Wachstum des Leitindex der Frankfurter Börse eine sehr grosse Diskrepanz: «Der DAX wird seit zwei Jahren von ganz bestimmten Sektoren wie der Verteidigungsindustrie, Banken und Versicherungen nach oben getrieben, während die deutsche Wirtschaft insgesamt eher industriell und familiär geprägt ist», betont Fares Benouari, Senior Portfolio Manager bei der Union Bancaire Privée (UBP). Mit anderen Worten: Das Wachstum einer Handvoll Akteure wie SAP, Rheinmetall, Hensoldt, Munich Re und Allianz hat die Enttäuschung im Automobil- und Chemiesektor weitgehend kaschiert.
«Die deutschen Automobilhersteller machen noch rund 6 Prozent des DAX aus, allein das Technologieunternehmen SAP bringt es aber auf 15 Prozent», betont Christian Schwab, Head of Portfolio Management Rothschild & Co Wealth Management Germany. Auch Dienstleister wie Allianz und Munich Re, die zusammen etwa 12 Prozent Anteil am DAX haben, erwirtschafteten sehr gute Ergebnisse. In jüngster Zeit wurde die Hausse des DAX auch durch das massive Konjunkturprogramm der deutschen Regierung angeheizt. «Die Anleger scheinen auf das zukünftige Wachstum zu setzen, das der Infrastrukturfonds in Höhe von 500 Mrd. Euro und die Lockerung der Anfang 2025 vom Bundestag angekündigten Schuldenbremse bringen sollen», bestätigt Alessandro Valentino, Produktmanager bei VanEck. Diese Massnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft nähren den Optimismus an den Märkten. Daher könnten die Aktienkurse in Erwartung einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage weiter steigen, auch wenn die aktuelle wirtschaftliche Situation weiterhin fragil wäre.
Bleibt angesichts solcher Rahmenbedingungen noch Zeit für Anleger, auf den DAX oder seine Akteure zu setzen? Die Meinungen darüber sind geteilt. «Die Märkte haben die Nachricht und die positiven Wachstumsaussichten im Zusammenhang mit dem Konjunkturprogramm gekauft, aber das grenzt schon an Spekulation», warnt Otmane Jai, Investor und Kundenberater der Familie MJ&Cie. Kurzfristig steht Deutschland weiterhin vor wirtschaftlichen Herausforderungen und zahlreichen Unsicherheiten. Auch wenn die Aussichten besser sind als noch vor einigen Monaten, hat Deutschland das Ende der Krise noch nicht erreicht, und es bleibt abzuwarten, wie lange es dauert, bis Gelder aus dem Konjunkturprogramm in die Wirtschaft fliessen. Christian Schwab, Head of Portfolio Management bei Rothschild & Co Wealth Management Germany, zeigt sich deutlich optimistischer: «Obwohl deutsche Aktien im Vergleich zu ihrem historischen Niveau nicht mehr unterbewertet sind – mit einem aktuellen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von etwa 15,5 –, so sind sie immer noch deutlich attraktiver als US-Aktien, deren KGV bei etwa 22 liegt. Folglich könnte eine durch fiskalische Anreize befeuerte Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft deutsche Aktien besonders attraktiv machen.»
Und dann könnten sich gerade die kleineren Unternehmen durchsetzen, meint Romain Aumond, Quantitative Strategist bei Natixis IM Solutions: «Der DAX scheint Bewertungsniveaus erreicht zu haben, die man als vernünftig bezeichnen kann. Im Gegensatz dazu ist das Segment der mittelgrossen Unternehmen angesichts der expansiven Fiskalpolitik der neuen Koalition noch günstig. Die akkommodierende Haltung der Europäischen Zentralbank (EZB) in unserem Szenario wird auch die deutschen Risikoanlagen stützen. Wir bevorzugen die Sektoren Verteidigung, Technologie, Banken und Industrie – aber ohne Automobilindustrie.»