25.04.2025
Deutschland: ein Bild des Niedergangs
Header article Germany: The spectre of decline

Der industrielle Motor Europas ist ins Stottern geraten. Angesichts der wirtschaftlichen Turbulenzen hat Berlin ein massives Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht, das von seinem Umfang her an den Marshall-Plan erinnert. Reicht das aus, um die Maschine wieder in Gang zu bringen, während Trump die «Spielregeln» ständig ändert?

Bertrand Beauté
Bildrechte: ©Noma Bar

«Das grösste Risiko für die deutsche Wirtschaft ist Trump!», bringt es Felix Schmidt, Senior Economist in Frankfurt am Main für die deutsche Bank Berenberg, auf den Punkt. Seit der Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus erscheint die amerikanische Handelspolitik zunehmend chaotisch, wirr und gefährlich. Die Märkte wechseln zwischen Börsencrashs und Euphoriephasen, je nachdem, wie es der amerikanische Präsident mit seinen berühmten Zöllen gerade hält. Deutschland, das Autoland schlechthin und ein grosser Exporteur auch in die USA, ist davon besonders betroffen. 2024 beliefen sich die deutschen Ausfuhren in die USA auf 163,4 Mrd. Euro (+4 Prozent im Vergleich zu 2023), was wiederum 10,5 Prozent der Gesamtexporte des Landes entspricht.

Die USA haben seit dem 12. März 25 Prozent Zoll auf Stahl und Aluminium und seit dem 2. April 25 Prozent auf Autos erhoben. Der amerikanische Präsident setzte jedoch am 9. April die sogenannten gegenseitigen Zölle von 20 Prozent auf Waren aus der Europäischen Union für 90 Tage aus. Der Mindestsatz von 10 Prozent blieb jedoch bestehen.

«Es ist schwierig, bei dieser Regierung Vorhersagen zu machen», betont Johannes Feist, CEO von Mikro Kapital Management. Aber man kann hoffen, dass Trump verstanden hat, dass er mit seinen Zollschranken seine eigene Wirtschaft schädigt, weshalb er sie ausgesetzt hat. Aber das ist nicht sicher, und er könnte sehr wohl beschliessen, sie in 90 Tagen wieder einzuführen.»

In der Zwischenzeit ist dieser Schritt aber eine Erleichterung für Berlin. Bereits vor Trumps Rückkehr hatte die grösste Volkswirtschaft Europas zu kämpfen. Sie verzeichnete 2024 das zweite Jahr in Folge eine Rezession – ein Phänomen, das es seit 2002 beziehungsweise 2003 nicht mehr gegeben hat.

Die deutsche Wirtschaft befinde sich nun schon seit mehreren Jahren in Schwierigkeiten, bestätigt Alessandro Valentino, Produktmanager bei VanEck. «Besonders betroffen sind das verarbeitende Gewerbe, die Automobilindustrie, die chemische Industrie und das Baugewerbe, die unter den hohen Energiekosten, der schwachen weltweiten Nachfrage und der wachsenden Konkurrenz aus China leiden. Seit 2019 ist die deutsche Industrieproduktion um 10 Prozent zurückgegangen.»

Das Ergebnis: Industrie-Ikonen des Labels «Made in Germany» leiden, darunter Volkswagen, Porsche, Mercedes, Bosch, Continental, Audi, Bayer, ThyssenKrupp und BASF. Alle haben in den letzten Monaten Massenentlassungen oder Werksschliessungen angekündigt. Auf politischer Ebene hat die wachsende Besorgnis der Bevölkerung tiefe Identitätsängste geschürt und den Aufschwung der rechtsextremen AfD (Alternative für Deutschland) befördert. Sie stieg bei den Parlamentswahlen im Februar 2025 mit 20,8 Prozent der Stimmen zur zweitstärksten Kraft des Landes auf.

Wie lässt sich der Niedergang eines Landes erklären, das mit seinem robusten Wachstum, seinen Rekordexporten und seinem Sparkurs lange Zeit eine Ausnahmeerscheinung in Europa darstellte? «Deutschland war in den letzten Jahren mit einer Reihe aussergewöhnlicher Schwierigkeiten konfrontiert», antwortet Fares Benouari, Senior Portfolio Manager bei der Union Bancaire Privée (UBP). «Andere europäische Länder wie Frankreich haben ebenfalls Probleme, aber nur Deutschland muss sich allen Herausforderungen gleichzeitig stellen.»

Die Schwierigkeiten sind sowohl struktureller Natur als auch konjunkturbedingt. Auf struktureller Ebene ist Deutschland mit einer alternden Bevölkerung, hohen Arbeitskosten, einer schwerfälligen Bürokratie und einem besonders komplexen ökologischen Wandel konfrontiert. Hinzu kommen konjunkturelle Probleme, das heisst: ein Rückgang der Exporte aufgrund der nachlassenden chinesischen Nachfrage, ein Anstieg der Energiepreise seit Beginn des Krieges in der Ukraine und ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen angesichts einer immer härteren internationalen Konkurrenz, insbesondere aus China. «In Summe machen diese Faktoren eine anhaltende wirtschaftliche Verlangsamung immer wahrscheinlicher», schätzt Alessandro Valentino.

«Es handelt sich um das grösste Investitionsprogramm in Europa seit dem Marshall-Plan im Jahr 1948»

Fares Benouari, Senior Portfolio Manager bei der Union Bancaire Privée (UBP)

Deutschland dürfte daher 2025 bestenfalls ein nunmehr drittes Jahr mit schwachem Wachstum erleben. Die Deutsche Bundesbank prognostizierte Anfang 2025 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur 0,2 Prozent. «Kurzfristig sind die Aussichten für 2025 vorsichtig optimistisch», bestätigt Christian Schwab, Head of Portfolio Management Rothschild & Co Wealth Management Germany. «Nach zwei Jahren negativen Wachstums ist eine leichte Erholung zu erwarten.» Eine erste Folge der deutschen Bemühungen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Tatsächlich hat Friedrich Merz, weniger als einen Monat nach der Bundestagswahl und noch nicht einmal Kanzler, im März zunächst den Bundestag und dann den Bundesrat dazu gebracht, ein XXL-Konjunkturprogramm zu verabschieden, das Investitionen in Höhe von mehreren hundert Mrd. Euro in Verteidigung und Infrastruktur vorsieht und eine Reform der sogenannten Schuldenbremse ermöglicht. Das Ergebnis: eine massive Erhöhung der Kreditaufnahme, um wieder Wachstum im Land zu ermöglichen.

«Es handelt sich um das grösste Investitionsprogramm in Europa seit dem Marshall-Plan im Jahr 1948», stellt Fares Benouari fest. Die enormen Investitionen dürften die Wirtschaft wieder beflügeln. Auch Christian Schwab teilt diese Meinung: «Das deutsche Steuerprogramm ist eine historische Initiative», betont der Head of Portfolio Management bei Rothschild & Co Wealth Management Germany. Sie werde sich langfristig positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken, auch wenn die Folgen grundsätzlich schwer vorherzusagen seien. «Im besten Fall könnte das Wachstumspotenzial erheblich steigen.» Insbesondere die Rüstungsindustrie mit Unternehmen wie Rheinmetall, Renk und Hensoldt, die Bauindustrie (Heidelberg Materials), der Transportsektor (Siemens), die Digitalisierung (SAP) und erneuerbare Energien (Siemens Energy) dürften profitieren. «Die Bau- und die Rüstungsindustrie werden als erste vom Konjunkturpaket profitieren», betont Felix Schmidt. «Forschung und Entwicklung im Rüstungssektor kommen langfristig auch anderen Bereichen zugute.»

Weitere positive Anzeichen sind die sinkenden Energiepreise, die den deutschen Unternehmen wieder etwas Wettbewerbsfähigkeit verleihen dürften. «Trotz des aktuellen Umfelds bleiben wir optimistisch für Europa im Allgemeinen und für Deutschland im Besonderen», fährt Felix Schmidt fort. «Die USA sind zwar als Land der grösste Handelspartner Deutschlands, aber Europa ist wichtiger. Es importiert mehr deutsche Produkte als die USA. Und China ist ebenfalls ein bevorzugter Partner Deutschlands. Denn dorthin gehen 6 Prozent der deutschen Exporte.»

Zu einem grossen Teil wird sich die Zukunft Deutschlands in der Tat in Peking entscheiden. Zwischen 2016 und 2023 war das Reich der Mitte der wichtigste Handelspartner. In all diesen Jahren hat nicht zuletzt das chinesische Wachstum Deutschland Wohlstand gebracht. Doch der Handel zwischen beiden Ländern ist in den letzten Jahren stetig zurückgegangen, da die chinesische Nachfrage gesunken ist, die kommunistische Partei auf eigene Produkte setzt und die Konkurrenz durch lokale Anbieter zugenommen hat. 2024 gingen die deutschen Exporte nach China daher im Vergleich zum Vorjahr um etwa 7 Prozent zurück und beliefen sich auf rund 90 Mrd. Euro.

Wie geht es weiter? Kann Peking im offenen Konflikt mit Washington ein nachhaltiges Wachstum wiedererlangen? Wird es wieder mehr Importe deutscher Produkte zulassen? Dieses Szenario ist alles andere als sicher. Denn China erweist sich zunehmend als Konkurrent, etwa im Automobilsektor. «Historisch gesehen haben chinesische Autohersteller deutsche Marken kopiert», erinnert Felix Schmidt. «Doch heute hat sich die Situation umgekehrt: Die deutschen Hersteller müssen von ihren chinesischen Kollegen lernen. Denn ein gutes Auto ist heutzutage vor allem eine gute Batterie und eine gute Software. Zwei Technologien, die die Chinesen aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit Smartphones besser beherrschen als die Deutschen.»

Darüber hinaus unterliegt die deutsche Automobilindustrie inzwischen einem US-Zoll von 25 Prozent. Ergebnis: Anfang April beschloss Audi, seine Exporte in die USA bis auf Weiteres auszusetzen. Am Montag, dem 14. April, deutete der US-Präsident jedoch an, die am 3. April eingeführten Zölle auf importierte Autos möglicherweise abzumildern oder vorübergehend auszusetzen, um den Unternehmen Zeit zu geben, ihre Produktion in die USA zurückzuverlagern. Eine weitere Kehrtwende, die von den Märkten mit Erleichterung aufgenommen wurde.