Zwischen sozialer Krise und spektakulären Übernahmen versucht sich der Sektor für Viedeospiele neu zu erfinden – und schafft damit Investitionsmöglichkeiten.
Eine Quizfrage: Was ist der teuerste Film aller Zeiten? Auch wenn sich nicht alle Quellen einig sind, so dürfte die richtige Antwort lauten: Star Wars: The Rise of Skywalker von J. J. Abrams aus dem Jahr 2019. Dessen Budget wird auf rund 500 Mio. Dollar geschätzt. Diese Summe ist zwar beeindruckend, liegt aber immer noch unter den Beträgen, die in die Produktion vieler Videospiele investiert werden. Die qualitativ hochwertigsten Titel, die Triple-A-Spiele, überschreiten bei den Produktionskosten regelmässig die Marke von einer halben Mrd. Dollar.
Derzeit hält Red Dead Redemption 2 von Rockstar Games Platz eins unter den teuersten Videospielen aller Zeiten. Die Kosten für die Entwicklung einschliesslich des Marketings werden auf 800 Mio. Dollar geschätzt. Dieser Rekord wird nächstes Jahr mit der Veröffentlichung des mit Spannung erwarteten Grand Theft Auto VI gebrochen werden, die nun, nach mehreren Verschiebungen, für den 19. November 2026 angekündigt wurde. Die Produktionskosten sollen zwischen einer und zwei Mrd. Dollar liegen. Mit diesem noch nie dagewesenen Betrag wird GTA VI zum teuersten Unterhaltungsprodukt in der Geschichte und verdeutlicht die besondere Schlagkraft der Videospielhersteller im Vergleich zur Filmindustrie.
Die Spieleindustrie kann sich solche Investitionen leisten, weil sie grosses Gewicht hat, sehr grosses sogar. Laut einem Bericht der Boston Consulting Group (BCG) erzielte der weltweite Videospielmarkt 2024 einen Umsatz von 221 Mrd. Dollar, mehr als die Film- und die Musikindustrie zusammen. Doch es gibt ein «Aber». Nach Jahren mit zweistelligen Wachstumsraten (+13 Prozent pro Jahr im Durchschnitt zwischen 2017 und 2021) stagniert der Sektor inzwischen beinahe (+1 Prozent pro Jahr zwischen 2021 und 2023), während die Entwicklungskosten weiterhin rasant in die Höhe schnellen. Nach Schätzungen von BCG dürften diese zwischen 2022 und 2028 für Triple-A-Spiele um 8 Prozent pro Jahr steigen, also stärker als das erwartete Umsatzwachstum bei Konsolenspielen (+3 Prozent).
Während der Pandemie stürzten sich die Studios darauf, neue Spiele zu entwickeln. Dies führte zu einer Sättigung des Marktes
Was ist der Grund für diese Verlangsamung? «Während der Pandemie erlebte die Videospielbranche ein hyperdynamisches Wachstum. Viele Menschen haben sich entsprechend ausgestattet, und die Verkaufszahlen für Spiele gingen in die Höhe», sagt Otmane Jai, Investment-Chef beim Family Office MJ & Cie. «Jetzt, da der Covid-Wahn vorbei ist, kehrt die Branche wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.» Diese Meinung teilt auch Stéphane Rappeneau, Mitbegründer des Studios Weird Loop und Professor für Videospielökonomie an der Sorbonne Universität: «Während der Pandemie wurde der Finanzwelt bewusst, dass alle spielten und dass dieser Sektor eine gute Investition sein könnte. Infolgedessen floss Kapital in diese Branche, was dazu führte, dass zahlreiche Studios gegründet wurden und das Angebot explodierte.» Kurz vor der Pandemie veröffentlichte beispielsweise die Plattform Steam, die PC-Spiele online vertreibt, etwa 8’000 neue Spiele pro Jahr (in den Jahren 2018 und 2019). Diese Zahl explodierte in den folgenden Jahren und lag 2024 bei 18’583.
«Während der Pandemie stürzten sich die Studios darauf, neue Spiele zu entwickeln. Dies führte zu einer Sättigung des Marktes», bestätigt Walid Azar Atallah, Senior Portfoliomanager bei Thematics Asset Management. Mehr verfügbare Spiele bedeuten jedoch auch weniger Einnahmen pro Titel und mehr kommerzielle Misserfolge. Das von Firewalk Studios – einer Tochtergesellschaft von Sony – entwickelte Spiel Concord wird als eines der Symbole für das Ende der Euphorie in Erinnerung bleiben. Die Entwicklung dieses ambitionierten Ego-Shooters war langwierig und kostspielig: Sie dauerte acht Jahre und verschlang inklusive Marketing 400 Mio. Dollar. Als der Titel am 23. August 2024 für PC und PlayStation 5 erschien, war die Akzeptanz katastrophal, die Verkaufszahlen fielen schwach aus. Auf Steam erreichte Concord nie mehr als 697 gleichzeitige Nutzer auf dem PC. Zum Vergleich: Battlefield 6 – ein Ego-Shooter von Electronic Arts, dessen Budget ebenfalls bei 400 Mio. Dollar liegt – verzeichnete in der Woche seiner Veröffentlichung im Oktober Spitzenwerte von fast 750’000 Gamern, die gleichzeitig auf Steam spielten. Nur etwa zwei Wochen nach der Veröffentlichung von Concord nahm Fire-walk Studios das Spiel aus dem Verkauf. Und Sony erstattete den wenigen Kunden den Kaufpreis, was zu einem kolossalen Verlust führte.
Und Concord ist nicht der einzige Misserfolg der letzten Jahre. Die Enttäuschungen häufen sich. Das Piratenspiel Skull and Bones, das mit einer Investition von 200 Mio. Dollar entwickelt wurde und bei seiner Veröffentlichung im August 2024 das neue Erfolgs-Franchise von Ubisoft werden sollte, erreichte auf Steam nie mehr als 2’615 gleichzeitige Spieler. Das Studio präsentierte diesen Titel jedoch schamlos als das erste AAAA-Spiel – vier A stehen für eine nie dagewesene Qualität und rechtfertigen einen unerschwinglichen Preis (80 Dollar). Aber das Spiel überzeugte die Gamer-Community nicht und brachte Ubisoft an den Rand des Bankrotts, da aktuelle Daten zufolge täglich nur 300 Personen gleichzeitig spielen.

Soziale Krise
Steigende Produktionskosten, aber weniger Kapital, um sie zu finanzieren; sinkende Einnahmen pro Titel, ganz zu schweigen von den Misserfolgen: Die Realität ist brutal. «Mit dem Platzen der Post-Covid-Blase floh das Privatkapital in vielversprechendere Sektoren wie künstliche Intelligenz und Verteidigung», erklärt Stéphane Rappeneau. Das Ergebnis: Nach den guten Jahren im Zusammenhang mit den Lockdowns muss der Sektor nun den Gürtel enger schnallen. Eine schwierige Zeit, die von einer historischen Beschäftigungskrise geprägt ist. Laut der Website Obsidian, die Arbeitsplatzverluste in der Gaming-Branche erfasst, gab es in der Videospielindustrie 8’500 Entlassungen im Jahr 2022, 10’500 im Jahr 2023 und 14’600 im Jahr 2024.
Zahlreiche Unternehmen haben zudem aufgrund mangelnder Rentabilität dichtgemacht. Im Mai 2024 beispielsweise kündigte Microsoft die Schliessung von vier Studios an, die Spiele für die Xbox-Konsole entwickelten: Arkane Austin (Redfall), Tango Gameworks (Hi-Fi Rush, im August 2024 vom koreanischen Publisher Krafton gerettet), Alpha Dog Games (Mighty Doom) und Roundhouse Games (von ZeniMax Online Studio übernommen). Im Oktober 2024 schloss Sony Firewalk, das amerikanische Studio, das für den Crash von Concord verantwortlich war, sowie Neon Koi, einen Spezialisten für Handyspiele. Und zuletzt, im Februar 2025, tat der US-Medienriese Warner Bros Discovery dasselbe und schloss drei weitere Studios, darunter Monolith Productions, bekannt für die Entwicklung mehrerer wichtiger Titel wie Mittelerde: Mordors Schatten und dessen Fortsetzung Der Schatten des Krieges, zwei Spiele, die auf Herr der Ringe basieren.
Darüber hinaus stehen derzeit auch unabhängige Akteure am Abgrund. Am 14. November beantragte der französische Gigant Ubisoft, Inhaber zahlreicher erfolgreicher Franchises wie Prince of Persia, Assassin’s Creed oder Just Dance, bei Euronext die Aussetzung der Kotierung und verschob die Veröffentlichung seiner Quartalsergebnisse. Während die Ubisoft-Aktie mitten in der Pandemie zeitweise über 80 Euro gehandelt wurde, war sie zum Zeitpunkt der Aussetzung nur noch 6,77 Euro wert.
Die Branche dürfte in den nächsten Jahren wieder ein Wachstum von 4 bis 5 Prozent erzielen
Ist das nun das «Game over» für Videospiele? Nein, antworten alle von uns befragten Experten unisono. «Mit 3,6 Milliarden Spielern weltweit ist die Videospielbranche eine solide Industrie, die in den nächsten Jahren wieder ein Wachstum von 4 bis 5 Prozent pro Jahr erzielen dürfte», betont Otmane Jai. Und die Branche scheint bereits aus dem Tief herauszukommen. Seit Jahresbeginn 2025 wurden nur 4’400 Entlassungen verzeichnet (Stand: 18. November), gegenüber 14’600 im Jahr 2024. «Die Branche hat die Exzesse der Pandemie überwunden. Sie wird nun durch günstige strukturelle Faktoren beflügelt», schätzt Andrew Ye, Investment Strategist bei Global X. «Die durch KI beschleunigte Entwicklung, die Demokratisierung der Abonnementmodelle, die Erneuerungszyklen der Hardware und die Lockerung der Vorschriften in Asien scheinen eine echte Dynamik zu schaffen. Es handelt sich jedoch um ein kontrolliertes Wachstum und nicht um irrationalen Überschwang. Die Publisher haben ihre Kosten optimiert. Risiken bestehen weiterhin, aber sie legen mehr Wert auf Rentabilität.»
Diese Meinung teilt auch Amaya Gutiérrez, Leiterin für Investitionen und Portfolioberatung bei Rothschild & Co: «Natürlich steht die GamingBranche vor Herausforderungen, aber wir sehen auch Chancen. Es gibt in der Tat Wachstumspotenziale, insbesondere in China, wo die Akzeptanz von Videospielen zunimmt, was Akteuren wie Tencent zugutekommt. Und darüber hinaus bietet der Konsolenbereich weltweit ebenfalls vielversprechende Aussichten angesichts des Erfolgs der kürzlich von Nintendo eingeführten Switch 2.»
Solide Industrie
Parallel dazu entwickeln sich neue Geschäftsmodelle, insbesondere die Erstellung von Inhalten durch Nutzer (User Generated Content, kurz UGC), was vor allem von Roblox und Fortnite (Epic Games) genutzt wird. Das gibt Entwicklern die Chance, ihre Kreationen auf diesen Plattformen zu verkaufen. «Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt in der Geschichte. Die Akteure der Videospielbranche müssen sich neu erfinden und innovativ sein, insbesondere durch den Einsatz künstlicher Intelligenz», sagt Otmane Jai. «Die Frage ist, wer sich durchsetzen wird. Ich denke, es werden die grossen Akteure sein, die über viel Kapital verfügen. Das gibt ihnen die Möglichkeit, innovativ zu sein und kleinere Studios, die in Schwierigkeiten sind, zu attraktiven Preisen aufzukaufen.»
Dieser Konsolidierungsprozess hat bereits vor ein paar Jahren eingesetzt. Zu den bemerkenswerten Übernahmen zählen die Käufe von Zynga (FarmVille) durch Take-Two (GTA) im Jahr 2022 und die Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft für 69 Mrd. Dollar. Das japanische Unternehmen Sega, Schöpfer von Sonic, kaufte 2023 Rovio Entertainment (Angry Birds). Und das chinesische Unternehmen Tencent, zu dem unter anderem Riot Games, der Herausgeber des weltweiten Erfolgs League of Legends, gehört, erwarb im März 2025 eine 25-prozentige Beteiligung an der neuen Tochtergesellschaft von Ubisoft, die die drei wichtigsten Franchises des französischen Unternehmens (Assassin’s Creed, Far Cry und Rainbow Six) zusammenführt. Das Unternehmen Electronic Arts (EA), das für seine Franchises EA Sports FC (ehemals FIFA), Battlefield und Die Sims bekannt ist, teilte im September mit, dass es ein Übernahmeangebot in Höhe von 55 Mrd. Dollar angenommen habe. Der Käufer ist ein Konsortium, das sich aus dem staatlichen Investitionsfonds Saudi-Arabiens und den amerikanischen Investmentgesellschaften Affinity Partners und Silver Lake zusammensetzt.
«Die Konsolidierung ist noch nicht abgeschlossen», ist sich Otmane Jai sicher. Dies dürfte die Märkte durchaus begeistern, da eine Konsolidierung des Sektors dazu beitragen kann, Kosten zu senken und Synergien zu nutzen. Seit Jahresbeginn 2025 hat der ETF VanEck Video Gaming and eSports, der die wichtigsten Branchenakteure umfasst, bereits um 34 Prozent zugelegt (Stand: 1. Dezember).

