Health

«Die Zahl der Augenerkrankungensteigt rasant an»

Interview
Interview of Riad Sherif, CEO of Oculis

Das Schweizer Start-up Oculis entwickelt vielversprechende Therapien für Augenerkrankungen. Wir haben CEO Riad Sherif in seinem Unternehmen in Lausanne interviewt.

Es ist allgemein bekannt, dass CEOs in der Regel viel reisen. Riad Sherif bildet da keine Ausnahme. Der Chef von Oculis pendelt zwischen dem Firmensitz in Zug und den drei weiteren Standorten des Unternehmens in Lausanne, Reykjavík (Island) und Newton (USA). Ganz zu schweigen von den verschiedenen Fachkongressen, an denen er weltweit teilnimmt. Im Mai 2025 war er beispielsweise auf dem Retina World Congress in Fort Lauderdale in den USA, um die positiven Ergebnisse der klinischen Studien zu den von Oculis entwickelten Behandlungen vorzustellen. Zwischen zwei Reisen haben wir ihn zu einem Interview in seiner Firma in Lausanne getroffen.

Die Prävalenz von Augenkrankheiten nimmt weltweit zu. Besteht Gefahr?

Riad Sherif: Tatsächlich nimmt die Verbreitung aller Augenerkrankungen rasant zu, und das hauptsächlich aus drei Gründen: alternde Bevölkerung, Diabetes und Bildschirmarbeit. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Die Augenheilkunde ist ein Bereich, in dem viel Neues entsteht. Es gibt eine sehr umfangreiche Pipeline von Behandlungen, die sich derzeit in der Entwicklung befinden und in den nächsten Jahren auf den Markt kommen werden. Das stimmt mich sehr optimistisch.

In dieser Pipeline finden sich auch die von Oculis entwickelten Lösungen. Was wird OCS-01, Ihr am weitesten entwickeltes Molekül, im Vergleich zu den bereits auf dem Markt befindlichen Lösungen für die Behandlung des diabetischen Makulaödems bringen?

Die derzeitigen Therapien sind für die Patienten sehr belastend. Sie haben nur zwei Möglichkeiten: regelmässige Injektionen ins Auge oder das Einsetzen von Implantaten. Da es sich um invasive Behandlungen handelt, neigen die Patienten dazu, sie zu verschieben. Darüber hinaus verzögern die Wartezeiten für einen Termin ihre Behandlung. Die in den Vereinigten Staaten mit 200’000 Patienten durchgeführte Iris-Studie hat gezeigt, dass 60 Prozent der Menschen mit diabetischem Makulaödem in den zwölf Monaten nach der Diagnose nicht behandelt wurden. Es ist jedoch wichtig, diese Krankheit so früh wie möglich zu behandeln. Andere Studien haben gezeigt, dass Diabetiker die Verschreibungen nicht befolgen: Anstatt die empfohlenen zehn oder elf Injektionen pro Jahr anzunehmen, gehen sie im Durchschnitt nur viermal pro Jahr zum Augenarzt. Ich mache ihnen keine Vorwürfe, im Gegenteil. Ich habe grosses Verständnis für Diabetiker, denn wenn sie an Augenkomplikationen leiden, kommen diese zu anderen Gesundheitsproblemen hinzu.

In diesem Zusammenhang könnte OCS-01 eine ideale Lösung sein. Es handelt sich um einfache Augentropfen, die keine Injektion erfordern und eine ähnliche Wirkung wie bestehende Medikamente haben. Unser Medikament könnte daher früher angewendet werden, da es nicht invasiv ist, und das Leben der Patienten erleichtern, die nicht mehr mehrmals im Jahr zum Augenarzt gehen müssten. Es wäre als Erstbehandlung bei der Therapie des diabetischen Makulaödems geeignet – einem Markt, dessen Wert auf drei bis vier Mrd. Dollar geschätzt wird.

Oculis besitzt drei Medikamentenkandidaten, die jeweils einen Markt von mehreren Mrd. Dollar pro Jahr anvisieren

Wie kommt es, dass OCS-01 im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten nicht injiziert werden muss?

OCS-01 ist ein hochkonzentriertes, aber stabiles Produkt. Das Besondere daran ist, dass es lange im Auge verbleibt, ohne Nebenwirkungen für die Hornhaut. Es durchdringt nach und nach alle Barrieren des Auges und passt sich jeder einzelnen an. Das ist eine Meisterleistung. Unsere Technologie basiert auf den Forschungsarbeiten, die die beiden Gründer des Unternehmens, die Professoren Einar Stefánsson und Thorsteinn Loftsson, in Island durchgeführt haben. Sie haben Jahre gebraucht, um alle Hindernisse zu überwinden. Als sie mit ihren Forschungen begannen, arbeiteten etwa zehn Unternehmen an ähnlichen Produkten. Unser Produkt ist derzeit das einzige in Phase III, also der letzten Entwicklungsphase vor der Markteinführung. Alle anderen Projekte wurden aufgegeben.

OCS-01 befindet sich derzeit in der klinischen Phase-III-Studie – der letzten vor einer möglichen Zulassung. Wenn alles gut läuft: Wann könnte es auf den Markt kommen?

Die Ergebnisse der beiden Phase-III-Studien mit 800 Patienten werden im zweiten Quartal des nächsten Jahres bekannt gegeben. Wenn sie positiv ausfallen, dürfte die Zulassung durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) dann ein Jahr dauern. OCS-01 könnte also bis 2027 in den Vereinigten Staaten und anschliessend in Europa und anderen Teilen der Welt auf den Markt kommen. Das Potenzial ist enorm. In den USA wurde bei etwa 1,8 Millionen Menschen ein diabetisches Makulaödem diagnostiziert. Davon werden 900’000 behandelt, aber nur 500’000 sprechen optimal auf die Behandlung an. Mit anderen Worten: 1,3 Millionen amerikanische Patienten werden nach wie vor unzureichend versorgt und könnten von einer Alternative wie OCS-01 profitieren. Weltweit ist das Problem noch grösser.

Neben dem Makulaödem testen wir unser Molekül auch für andere therapeutische Anwendungen. Es ist nämlich ein sehr wirksames Produkt zur Behandlung komplizierter Entzündungen des Auges, insbesondere von postoperativen Entzündungen.

Interview of Riad Sherif, CEO of Oculis

Ein weiteres Ihrer Produkte hat in diesem Jahr für viel Gesprächsstoff gesorgt: OCS-05, das positive Ergebnisse bei der Behandlung einer seltenen Krankheit, der Optikusneuritis, erzielt hat. Warum haben diese Ergebnisse so grosses Interesse in Wissenschafts- und Finanzkreisen geweckt?

Die Optikusneuritis, eine akute Entzündung des Sehnervs, ist in der Tat eine relativ seltene Erkrankung, von der jährlich 150’000 Patienten betroffen sind. Zwei Drittel von ihnen leiden an Multipler Sklerose. Aber es handelt sich um eine Krankheit, die mir besonders am Herzen liegt, weil sie junge Menschen – im Schnitt nur 32 Jahre alt – betrifft, vor allem Frauen, die nach und nach ihr Augenlicht verlieren, weil es derzeit keine Behandlung gibt. Wenn ich an diese Krankheit denke, stelle ich mir eine junge Mutter vor, die blind wird.

In einer klinischen Phase-II-Studie, deren Ergebnisse im Januar 2025 veröffentlicht wurden, hat unser neuester Medikamentenkandidat namens Privosegtor oder OCS-05 hervorragende Ergebnisse gezeigt. Eine Premiere in der Behandlung dieser Krankheit. Nach drei Monaten hatten die Patienten eine deutliche Verbesserung ihrer Sehschärfe erzielt – im Durchschnitt 18 Buch-staben in einem Sehtest, wobei sich die Sehqualität mit einem Gewinn von 15 Buchstaben verdoppelt. Es handelt sich zwar nur um eine erste Studie, die noch bestätigt werden muss, aber diese Ergebnisse sind bereits solide und sehr vielversprechend.

Und es geht noch weiter: Um die Wirksamkeit unseres Medikamentenkandidaten zu bewerten, haben wir drei Kriterien herangezogen: die Verbesserung des Sehvermögens der Patienten, die Dicke der Netzhaut und das Vorhandensein eines Biomarkers, der für die Zerstörung von Neuronen charakteristisch ist. Unser Produkt hat bei diesen drei Kriterien hervorragende Resultate erzielt. Mit anderen Worten: Es könnte als Neuroprotektivum wirken, was wirklich revolutionär ist. Seit Jahren suchen alle nach einer Behandlung, die die Neuronen schützt, bisher jedoch ohne Erfolg. Und jetzt haben wir etwas, das aussergewöhnliche Ergebnisse gezeigt hat. Das eröffnet immense Perspektiven, nicht nur in der Augenheilkunde, sondern auch in der Neurologie für die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen.

Klinische Studien sind extrem kostspielig. Verfügt Oculis über die nötigen finanziellen Mittel, um die Entwicklung alleine fortzusetzen?

Im Februar dieses Jahres haben wir 100 Mio. Dollar aufgebracht und im August eine Kreditfazilität von BlackRock in Höhe von weiteren 100 Mio. Franken erhalten. Wir sind also gut finanziert, ausreichend, um alle unsere Projekte mindestens bis Ende 2027 voranzutreiben, ohne die Kreditlinie in Anspruch nehmen zu müssen.

Was eine mögliche Vermarktung von OCS-01 angeht, möchten wir dies in den USA selbst tun. Wir werden uns auf diesen konsolidierten Markt konzentrieren und wahrscheinlich Partnerschaften für den Rest der Welt suchen.

Unser Aktienkurs spiegelt nicht unser ganzes Potenzial

Die Ursprünge von Oculis liegen in Island, Ihr Hauptsitz befindet sich in der Schweiz, und Sie haben sich entschieden, sich auf die USA zu konzentrieren, wo Sie an der Börse kotiert sind. Warum diese Streuung?

OCS-01 wurde in Island entwickelt, wo wir ein Formulierungslabor unterhalten, um Wirkstoffe in eine anwendbare Arzneiform zu bringen. Anschliessend wurde Oculis in seiner Entwicklung vom Novartis Venture Fund und anderen Investmentfonds unterstützt, was zur Ansiedlung des Unternehmens in der Schweiz führte. Es hat Vorteile, hier zu sein: Wir befinden uns im Herzen des Health Valley in einem Land, das über profunde Kompetenzen in der pharmazeutischen Forschung verfügt. Und schliesslich sind die USA der grösste Markt für Pharmazeutika. Für ein Biotech-Unternehmen ist es ganz natürlich, an der Nasdaq kotiert zu sein. Es ist der grösste und liquideste Markt der Welt. Es ist der grösste und liquideste Markt der Welt. Dort muss man sein, um die Chance zu haben, möglichst viele Investoren zu finden.

Ist Oculis Ihrer Meinung nach derzeit gut bewertet?

Wenn Sie diese Frage einem beliebigen CEO eines börsenkotierten Unternehmens stellen, wird er Ihnen antworten, dass sein Unternehmen besser bewertet sein sollte (lacht). Im Ernst: Ich glaube, dass unser Aktienkurs noch nicht sein volles Potenzial widerspiegelt. Der Markt hat OCS-05 noch nicht vollständig in unsere Bewertung integriert. Der Grund dafür ist einfach: Bislang sind alle Medikamentenkandidaten für den Neuroprotektionsbereich gescheitert. Es ist unsere Aufgabe, den Markt und die Investoren aufzuklären, um sie vom Potenzial von OCS-05 zu überzeugen. Ich bin sehr optimistisch.

Aber alle Ihre Produkte befinden sich noch in der klinischen Testphase. Es besteht also potenziell das Risiko, dass OCS-05, aber auch Ihre anderen Medikamentenkandidaten scheitern...

Das ist richtig, aber ich halte das Risiko in unserem Fall für überschaubar. Wenn man OCS-02 hinzunimmt, das für das Syndrom des trockenen Auges in die Phase II/III eintreten wird, verfügt Oculis über drei Medikamentenkandidaten, die jeweils Märkte mit einem Volumen von mehreren Mrd. Dollar pro Jahr anvisieren. Es reicht aus, wenn nur eines dieser Produkte auf den Markt kommt, damit das Unternehmen rentabel ist und einen Umsatz von mehr als einer Mrd. Dollar erzielt. Angesichts der hervorragenden Ergebnisse, die wir erzielt haben, bin ich sehr zuversichtlich.

Das Syndrom des trockenen Auges betrifft weltweit jeden dritten Menschen. Was bietet OCS-02 hier mehr, verglichen mit schon bestehenden Behandlungen?

Derzeit brechen 90 Prozent dieser Patienten ihre Behandlung nach weniger als einem Jahr ab, weil sie nicht zufrieden sind. Wir haben einen Gentest entwickelt, mit dem sich feststellen lässt, welche Personen sehr positiv auf unser Produkt ansprechen werden. Das ist Präzisionsmedizin, die die Behandlung verbessert und die Gesundheitskosten senkt, indem unnötige Verschreibungen vermieden werden.

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